Alltagsleben in Krisenzeiten

Der Fotograf Pieter ten Hoopen blickt mit seinen Fotos hinter die Fassade

Besonders das Alltägliche, das einfache Leben, hat es ihm angetan. Der Fotojournalist Pieter ten Hoopen lenkt mit seinen Arbeiten den Blick auf die Lebensbedingungen von Minderheiten, die unter Kriegsfolgen und humanitären Krisen leiden. Es sind keine Schreckensbilder – viel mehr zeigt er, wie der Alltag in Ausnahmesituationen zurückkehren kann. So auch bei seiner Dokumentation „The Migrant Caravan“, für die er den World Press Photo Award für die Story of the Year erhielt.

Über zwei Monate hinweg begleitete Pieter ten Hoopen eine Karawane auf dem Weg von San Pedro, Honduras, bis zur US-amerikanischen Grenze. Tausende zentralamerikanische Migranten – Menschen aus Nicaragua, El Salvador und Guatemala – schlossen sich dem Konvoi an, um politischer Gewalt zu entfliehen und in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Im Gegensatz zu einer Alleinreise bietet eine so große Gruppe mehr Sicherheit und Schutz vor Menschenschmugglern. Der Weg ist dennoch nicht leicht: hohe Temperaturen und lange Wegzeiten. Bis zu 30 Kilometer legen die Menschen am Tag zurück.

Es ist nicht die einzige, aber die größte Kolonne der letzten Jahre – darin zeigt sich die besondere journalistische Bedeutung des Beitrags, wie sie von der World Press Photo Foundation gefordert war. Der schwedische Fotograf verweist mit der Fotoserie auf die kontroverse Einwanderungspolitik des US-Präsidenten Donald Trump und die Situation der Migranten. Übrigens: Auch das Foto von John Moore, dem Photo-of-the-Year-Preisträger 2019, setzt den gleichen Schwerpunkt.

Den Menschen nicht aus dem Blick verlieren

Anders als John Moore ist Pieter ten Hoopen aber dichter an den Menschen dran, auch dadurch, dass er sie über den Zeitraum hinweg begleitet hat. „I wanted to cover what it means to be on the road to a new life – or what people hope to become a new life. I wanted to focus on the human aspects, on relations between the people and how they handle it“, erklärt der gebürtige Niederländer. Und genau das schafft ten Hoopen auch: Er hat ein Auge für zwischenmenschliche Beziehungen und fängt diese in seinen Bildern ein. So kann er den Tausenden von Menschen ein Gesicht geben und Einblicke in den ungewöhnlichen Alltag vermitteln.

Der Preis für die Story of the Year wurde in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben – Pieter ten Hoopen ist aber kein Neuling in Sachen Storytelling und Fotografie. Seine Werke wurden in großen schwedischen Zeitungen und international bekannten Magazinen wie New York Times Magazine und Le Monde veröffentlicht und mit einer Reihe renommierter Preise ausgezeichnet. Der studierte Fotojournalist war dreimal Fotograf des Jahres in Schweden und Preisträger bei den World Press Photo Contest 2008 und 2010. Als Mitglied der Pariser Agentur VU und als Mitgründer von Civilian Act, einem Storytelling-Unternehmen, konnte er umfassende Erfahrungen sammeln. Seine Projekte führten den Fotografen um die ganze Welt – etwa nach Kolumbien, Pakistan, Russland, USA, Ägypten, Kenia, Schweden, Irak, Syrien und Afghanistan.

Unsichtbares und Unerwünschtes: Pieter ten Hoopens Bilder erzählen Geschichten

Storytelling verbindet Fotos und Videos auf narrativer Ebene; erfordert Kreativität und kritisches Denken. Pieter ten Hoopen hat den Anspruch, nicht nur oberflächliche Bilder zu zeigen, er setzt stattdessen auf Intimität und Tiefe und deckt so das Verborgene auf. Er gibt Unsichtbaren ein Gesicht.

Unsichtbaren, wie den rund zwei Millionen Mädchen unter 15, die jedes Jahr Mütter werden, obwohl sie selbst noch Kinder sind. Das gebärfähige Alter von Frauen ist auf 15 bis 49 Jahre gesetzt, daher fallen jüngere Mädchen oftmals aus den Statistiken. Der Fotograf zeigt, dass es sie dennoch gibt. Mit Erfolg: Das Ausstellungsprojekt „Child Mothers“– eine Zusammenarbeit mit Plan International und der UNO – wurde 2018 auf der ganzen Welt gezeigt, auch im UN-Hauptquartier in Genf.

Unsichtbaren, wie den Bewohnern der Stadt Hungry Horse in Montana. Der Ort ist durch eine hohe Kriminalitätsrate, hohe Arbeitslosigkeit, durch Alkohol- und Drogenmissbrauch gekennzeichnet – nichts, worauf der Blick gern gelenkt wird. Von der World Press Photo Foundation wurde der Fotojournalist für ein Bild der Serie ausgezeichnet – im Bereich Porträtfotografie belegte er 2010 den zweiten Platz. 2015 entstanden aus der Fotoreihe ein Film und ein Buch.

Unsichtbaren, wie den sieben jungen Japanern, die sich gegen ihre Tradition und gesellschaftliche Ansprüche stellen. Als Pieter ten Hoopen nach dem verheerenden Tsunami 2011 in Tokio war, überraschte ihn die Unberührtheit, die die Japaner nach außen hin zeigten. Der Fotograf stellte sich die Frage: Wie gehen die Menschen mit Trauer, mit Schuld, mit Einsamkeit um? Und ging auf die Suche, nach Personen, die das offen zeigen. Im folgenden Jahr entstand die Fotoserie „Tokyo 7“, die das Leben fern von traditionellen japanischen Normen abbildet. Die Projekt wurde 2012 als Buch veröffentlicht.

Sudanesische Flüchtlinge, Hundekämpfe Afghanistan, der Japan Suicide Forrest, die Unsichtbare Stadt Kitezh in Russland, aber auch die Bewohner seiner Wahlheimat Stockholm – der Fotograf versteht sich darauf, Schicksale zu zeigen. Pieter ten Hoopens Fotoprojekte haben eines gemeinsam: Er will Menschen zeigen, die sonst nicht gesehen werden. Und dadurch ein Verständnis der gegenwärtigen Realität schaffen. Mit „The Migrant Caravan“ gelingt das ausgezeichnet.

 

Autorin: Katrin Lüdeke
Fotos: Pieter ten Hoopen

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Die Ausstellung „World Press Photo“ zieht Jahr für Jahr Millionen Besucher in ihren Bann. Kein Wunder: Sie zeigt die Welt so, wie sie ist. Pressefotografen liefern dafür preisgekrönte Bilder aus den entlegensten Ecken der Welt. In diesem Magazin erscheinen auch regelmäßig Beiträge von Gastautor*innen.

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