Auf den zweiten Blick

Künstler Martin Wernert über den Fotorealismus

Foto: Martin Wernert

Eine junge Frau sitzt im Dunkeln an einem Tisch. Durch die Fenster des Raums ist ein spektakuläres Lichtspiel von Mond und Sternen zu sehen, dessen Schein die Frau sanft beleuchtet. Wie fotografiert man ein solches Motiv? In diesem Fall: überhaupt nicht. Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht vermutet: Das Bild ist keine Fotografie, sondern ein Gemälde. »Kairos« hat es der Künstler Martin Wernert genannt. Wernert malt fotorealistische Bilder. Wie er es schafft, dass der Betrachter zweimal hinschauen muss, um das zu erkennen, schilderte er dem Publikum bei unserer Matinee »Zwischen Wirklichkeit und Bild« am 7. Juli. 

Treffpunkt unserer ersten Sonntagsmatinee war die Galerie Kunstblick. Galeristin Heidrun Bucher-Schlichtenberger stellte Wernerts Werke aus und verband das Künstlergespräch mit dem Trossinger Maler mit einer Führung durch die Ausstellung. Und die zeigte eindrücklich, wie Wernert mit seiner Kunst bis in die Bereiche der Fotografie eindringt.

Bucher-Schlichtenberger erklärte einleitend: »Wernerts Bilder beruhen auf formaler Strenge, durchdachter Bildorganisation und dramaturgischer Lichtregie. Er ist ein Könner der alten Schicht- und Lasurtechnik und versteht es, Gegenstände fotografisch genau abzubilden.« Dieses »Unfassbare«, so Bucher-Schlichtenberger, sei in »Kairos« besonders gut zu erkennen:

»Das Bild wirkt kühl und nüchtern, doch im Gegensatz dazu steht das Mondlicht, das so hell in den Raum scheint. Das Bild vermittelt eine melancholische Stimmung und entfaltet seine Magie erst im Dunkeln.«

Wie geht Wernert vor, um diese Wirkung zu erreichen?

Der Künstler nutzt tatsächlich Fotografien als Vorlage: »Auf solchen Fotos sind meist junge Frauen in Interieurs zu sehen. Sie entstehen auf der Grundlage detaillierter Kohlezeichnungen vor der Natur oder, wenn die Umstände das nicht zulassen, von Fotografien. Die dargestellten Frauen sind zum Teil nahestehende, meist aber bis dahin unbekannte Personen. Die Raumdarstellungen basieren auf den örtlichen Gegebenheiten des Ateliers, der alten Fabrik, in der dieses sich befindet, und gelegentlich auch anderswo vorgefundenen Orten bzw. Kombinationen daraus. Ausgangspunkt ist somit (mit wenigen Ausnahmen) in der äußeren Realität Vorgefundenes, das in freier Assoziation intuitiv kombiniert und arrangiert wird.«

Grenzen von Fotografie und Malerei

Auch wenn die Werke des Malers auf den ersten Blick wie Fotografien wirken, gibt es einige Unterschiede. Dazu gehören laut Wernert zum Beispiel die unterschiedlichen Erwartungen an Bilder und Fotografien:

»Die Erwartung an ein Foto ist, dass es dokumentarisch ist. Das fällt bei meinen Bildern komplett weg, niemand erwartet das von meinen Bildern.«

Ein Fotograf könne ein Motiv nur ablichten, an dem Bild selbst jedoch nichts verändern, es sei denn, er benutze Bildbearbeitungssoftware. Der Maler hingegen könne seine Bilder ganz bewusst schon bei der Entstehung neu gestalten. So beschreibt Wernert einen weiteren Unterschied zwischen Malerei und Fotografie:

»Bei der Malerei kann man Dinge unterschiedlich gewichten. Ich kann Details weglassen, etwas reduzierter darstellen und dadurch gezielt einen Fokus setzen und eine magische Stimmung erzeugen.«

All das erschließt sich nicht auf den ersten Blick und so bot die Matinee einen spannenden Einblick in die Gemeinsamkeiten, aber auch die Grenzen von Fotografie und Malerei. Oft lohnt es sich eben doch, zweimal hinzuschauen.

Mehr über Martin Wernert:

»Wäre ich nicht Künstler geworden …«

 

Text: Dunja Freudenmann

Dieser Beitrag stammt von:

Miriam Muschkowski

Miriam Muschkowski ist freie Mitarbeiterin bei der vhs Balingen und gehört zum Social-Media-Team der #wppbl. Als Balinger Gewächs ist sie in der Region bestens vernetzt.

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